Gestaltungsaspekte
meiner Raku-Teeschalen

Die Grundlage meiner Handarbeit bei der Herstellung der Teeschale bilden die Inutition, Erfahrungen, der "gelenkte Zufall", das spielerische Wirken der Elementarkräfte, die Schönheit der Einfachheit, der Natürlichkeit und der Unvollkommenheit. Nicht Perfektion, Schnelligkeit und Effekthascherei begleiten meinen Gestaltungsprozess.

Meine Schalen forme ich ganzheitlich aus einer Tonkugel. Jede Teeschale ist ein Unikat. Die Strukturen der Schalenwandung ergeben sich aus der Technik der Formgestaltung heraus, sind von mir nicht absichtlich planbar und machbar. Nicht das Wissen, sondern meine Erfahrung gestalten vorrangig im Prozess des Werdens die Form der Schale. Mein Nachspüren, Umfassen und Betasten der werdenden Schale formen ihre Gestalt. Die tastbare Asymmetrie und die strukturierte Oberfläche, regen eine taktile Lebendigkeit zwischen den Handinnenflächen an.

Detail einer Raku-Teeschale

Wenn ich die Schale zum Trinken an meine Lippen ansetze, werden diese leichten Unregelmässigkeiten des Schalenrandes beim Trinkvorgang von der Ober- und Unterlippe so ausgeglichen, dass keine Teeflüssigkeit bei dem Trinkvorgang danebenfliesst. Beim achtsamen Trinken kann ich diesen Anpassungsprozess wahrnehmen, so dass das Teetrinken aus der Schale mich zu einem gegenwärtigen Da-Sein auffordert.

Detail einer Raku-Teeschale

In der durch meine Hände geformte Ur-Gebärde der Schale liegt die Teeschale mit ihrem Gewicht, Schale in Schale. Ihre erfahrbare Schwerkraft erinnert mich an ihren erdhaften Ursprug, an das Lebenselement Erde, aus der die pulsierende Lebendigkeit und schöpferische Gestaltungsvielfalt entspringt. Diese Wahrnehmung lässt mich den Doppelcharakter der Erde spürend erahnen: Einmal setzt sie mich in Beziehung zum schöpferischen Potential, zum anderen aber erinnert sie mich auch gleichzeitig an die Endlichkeit und Vergänglichkeit, denn alles Leben kehrt im Zustand des Todes zur Erde zurück.

Detail einer Raku-Teeschale

Die beiden Handflächen nehmen die leichten Unregelmässigkeiten der Schalenwandung wahr, an die sich meine Hände ausgleichend anschmiegen. Auch fühle ich die angedeutete Asymmetrie, die mich mit dem kosmischen Schöpfungsprinzip in Beziehung bringt, das im Universum keine Form und kein Körper mathematisch exakt symmetrisch kreiert hat.

Detail einer Raku-Teeschale

Die robuste Dickwandigkeit verleiht der Schale den Charakter der Unfertigkeit und der Unvollkommenheit, als sei der Herstellungsprozess nicht ganz bis zur Dünnwandigkeit, Glattheit und Regelmässigkeit zu Ende geführt worden. Wenn ich heissen Tee in die Schale einschenke, spüre ich, wie die Gefäßwand ganz allmählich und sehr behutsam die Wärme an meine Handinnenflächen ableitet. Die langsame Erwärmung erzeugt ein angenehmes Gefühl, ohne dass der heisse Tee die Außenseite der Schale zu startk erwärmt, und die Berührung dadurch unangenehm wird.

Detail einer Raku-Teeschale

Beim letzten Schluck bleibt ein geringer Rest des Tees in der Mulde, die als kleine Schale im Gefässboden eingedrückt ist, übrig. Diese angedeutete Boden-Schale birgt den Gedanken in sich, dass die kleine Form ein Bestandteil der grossen ist und umgekehrt. Sie stellt einen visuellen Impuls zum holistischen Weltverständnis dar.

Meine Schalen sind in der Regel mit einer hellen Innenglasur überzogen, damit die Farbe des Tees sich darin deutlich abbilden kann, Einen Teil meiner Schalen lasse ich im unteren Teil unglasiert, so dass nach dem Brennvorgang beim Einlegen der Schale in das Sägemehl das Spiel der Elemente schöpferisch zeichnen kann. Dies ist ein Vorgang, der weder berechenbar noch unberechenbar bezeichnet werden kann. Dem Ergebnis wohnt das Geheimnis der Absicht und der Absichtslosigkeit inne. Es scheint weder das eine noch das andere zu sein, sondern ist das schöpferische Spiel der Elemente, die im wechelseitigen Prozess der gegenseitigen Bedingungen die Schalenaussenseite monochrom aber lebendig kreieren.

Bei der Gestaltung, beim Betrachten und der Berührung der Raku-Teeschale trete ich in Beziehung mit den Gesetzmässigkeiten der &Äuml;sthetik, die sich von denen, die in meinem Leben sonst allgemein Gültigkeit haben, unterscheiden. Hier werde ich aufgefordert, die Schönheit in der Natürlichkeit, Einfachheit, Schlichteit und Unvollkommenheit zu entdecken, wo sie im japanischen &Äuml;sthetikverständnis des Wabi/Sabi mitschwingen. Nicht das Laute, das Reißerische, die Effekte, das Aufdringliche sensibilisieren und öffnen meine Sinne, sondern die Stille, die Demut und die Reduzierung auf das Wesentliche. Dem Alles-Wissen-müssen und Machen-können steht die Intuition, die Erfahrung und der gelenkte Zufall gegenüber, eine Haltung, die Offenheit für die Kreativität herausfordert unbd aktiviert.

Der mittelbare Kontakt zu den Elementen Erde, Wasser, Feuer und Luft führen mich an die Geheimnisse von Schöpfungsprozessen heran, deren Kräfte und Vielfalt ich nur annähernd erahnen kann. In einer Zeit, in der die Lebenselemente immer weniger unmittelbar für den Menschen erlebbar werden, kann die Begegnung und Erfahrung mit ihnen ihn wieder rück-binden an seinen Ursprung. Dies kann eine Wandlung des Bewusstseinsprozesses bewirken, bei dem der Mensch erkennt, dass die Werte unserer modernen Konsum - und Leistungsgesellschaft, denen er bisher grosse Bedeutung und Wichtigkeit zugemessen hat, trügerisch sind, und dass sie die Menschheit in die Maßlosigkeit und Überheblichkeit treiben.

Der Raku-Weg kann eine Wendung auf diesem vom Zeitgeist ausgetrampelten Weg einleiten. Das behutsame Beschreiten dieses Weges kann den Charakter einer Spiritualität annehmen. Hierbei erfährt man konkret, was die Begriffe Umkehr (metanoia) und Rückbindung (re-ligio) bedeuten können, die beide tragenden Säulen einer spirituellen Lebenspraxis sind.

Unter diesem Erfahrungs- und Erlebnishintergrund schreibe ich der Raku-Kermaik die gleiche Bedeutung zu, wie sie zu Ende des 15. Jahrhunderts in Japan hatte, als sie die feudalen und höfischen Teegesellschaften vom Kaiserlichen Hof in Kyoto mit der &Äuml;sthetik des Zen durchdrang. Der Prunk, die Statussymbole und die ausgelassene Geselligkeit wurden ersetzt durch die Hinwendung zur Natürlichkeit, Schlichtheit, Echtheit, Bescheidenheit und Stille. Die Teemeister und Töpfermeister sahen in diesen Eigenschaften die Möglichkeit, den Geist des Zen gestalterisch anschaulich vermitteln zu können. Damals wie heute hat sie den Weg gewiesen für ein neues Bewusstsein und damit verbunden für ein Verständnis neuer Werte. In unserer heutigen Gesellschaft kann die Raku-Keramik - und damit eng verbunden die Tee-Zeremonie - Impulse für die Gestaltung von Lebensqualität ausstrahlen, die den Menschen in Einklang mit sich selbst und der Schöpfung einstimmen können, und er somit die Verbundenheit und die Einheit mit sich und dem Kosmos ahnungs- und andeutungsweise in seinem Herzen und seiner Seele intuitiv erspürt.